Die Geschichte

von Werner Kohnen

9. meine Ehe

Im Jahr 1970, nachdem ich mit meinem kleinen Schiff so viel auf Erfolgskurs fuhr, lernte ich durch den Bekanntenkreis meiner Eltern das Fräulein Helene Lübbers kennen. Beim Kennenlernen sah meine spätere Frau für mich so schön aus, dass ich überwältigt war.

Wir trafen uns wieder.

Sie war die Tochter des Schiffseigners Nikolaus Lübbers vom M/S „Stadt Weener“. An ihrem 18. Geburtstag heirateten wir in meiner Kirche„ Johannes der Täufer“ zu Surwold / Börgermoor.

Schifferschule Hörstel

unsere gemeinsame Tochter mit 5 Jahren in Weener

In dieser Zeit hatte ich den Schleppkahn WTAG 117 gekauft und baute es auf der Schiffswerft Schulte & Müller in Haren / Ems zum Motorschiff um, an der blauen Donau. Unsere Ehe entwickelte sich und daraus kam unsere Tochter Helena im April 1972 zur Welt. Alle in dieser Familie mit dem Rufnamen Leni.

1975 hatten wir ein sehr schönes gemeinsames Jahr, trotz des schwierigen Emporkommens durch die negative Frachtenlage seiner Zeit.

Es begab sich, dass ich meine Frau 14 Tage vor Weihnachten 1975 zu ihrem Elternhaus schickte, um den Führerscheinkursus zu beginnen, bei Fahrschullehrer Herr Tooren aus Weener. Ferner wollten wir auf dem Grundstück „Suevensteert“ einen Hausbau in Angriff nehmen. Sie sollte dort entsprechende Baugenehmigungen und Kosten eruieren.

Sie stieg unterhalb der Schleuse Dorsten aus und fuhr mit dem Zug nach Weener zum Haus meiner Schwiegereltern. Ich war auf der Fahrt mit voller Ladung Petrolkoks nach Rotterdam -Botlek. Am 22./23. Dezember wurde die Ladung über Nacht bis früh morgens gelöscht.

Am darauffolgenden Tag konnte ich von der Firma Tromp B.V. aus Rotterdam eine Ladung Flussspat (woraus man Porzellan macht) für eine sehr gute Fahrt Richtung Duisburg einladen durch einen Schwimmkran von einem chinesischen Dampfer. So geschah es auch, als um halb zehn beim drittletzten Greifer beim Herausheben das Seil brach.

Die Seilreparatur zog sich bis um 13:30 Uhr hin. Nach Übernahme der letzten Greifer fuhr ich das Schiff nach Absprache mit dem Hafenmeister zum Waalhaven, wo es über Weihnachten liegen bleiben konnte.

Da ich meine Besatzung zum Weihnachtsfest schon vorher hab nach Hause fahren lassen, war ich nur noch mit dem Schiffsjungen van der Laan an Bord, mit dem ich mich um halb vier zur Central Station mit dem Zug auf den Weg machte nach Weener.

Ich erhielt den letzten Zug um 11:30 Uhr von Groningen nach Winschoten. Dieser fuhr nicht mehr bis nach Nieuweschans durch. Da meine Frau mich sehnsüchtig viermal über den Tag angerufen hatte, holte sie mich mit meiner Schwägerin Maria Lübbers, die fahren durfte, vom Bahnhof ab.

Der Unfall

Meine Frau war wie immer sehr impulsiv und sprang mir entgegen. Und weil ich todmüde war, sagte ich den folgenschweren Satz: ,,Leni, wir haben ja noch so viel Zeit.“ Aber in Wirklichkeit hatten wir gar keine Zeit mehr.

Auf dem Nachhauseweg zu meinen Schwiegereltern fuhr uns ein Auto aus Weener, und zwar Karin Schmidt mir ihrem Verlobten aus Kassel, quer auf einer vereisten Straße in unser Fahrzeug, einen neuen Mercedes, in der zweiten hinteren Tür hinein.

Da ich todmüde war, hatte ich nicht gefahren, sondern meine Schwägerin, konnte aber mit ansehen, wie das ankommende Fahrzeug über die Mittellinie in diese zweite Tür hineinfuhr, wo ich saß. Die Achse stieß durch meine beiden Unterbeine und bei meiner Frau, die auf dem Rücksitz neben mir saß, in den Körper.

Meine Schwägerin Maria Lübbers hat von diesem Schlag einen Genickbruch erlitten und war auf der Stelle tot. Ich bin dann hernach wieder wach geworden und konnte mit der Hand die lauwarme Blutgerinnung unter den zertrümmerten Unterschenkelknochen erfühlen.

Ich rief ein paar Mal nach meiner Frau und sie erwiderte noch einmal mein Rufen, und danach habe ich nie wieder etwas von ihr gehört.

Ich versuchte, weil ich mich sofort damit abgefunden hatte, sollte ich es noch schaffen, am Leben zu bleiben, dass beide Unterbeine abgetrennt werden, noch aus dem Wagen an meiner Seitentür herauszukommen. Was mir auch gelang, konnte aber auf den zertrümmerten Unterknochen nicht stehen und schleppte mich kriechend vom Wagen weg zur damaligen Gaststätte „Sonnenberg“ in Coldam.

Gleichzeitig stürzten die Menschen um 0:15 Uhr nachts dort aus der Gaststätte, da sie wahrscheinlich den Aufprall gehört hatten. In dem Moment sah ich ein Taxi auf mich zukommen aus Richtung Weener, dem ich durch Winkzeichen signalisierte, anzuhalten. Der Fahrer benachrichtigte auch sofort Krankenwagen und Polizei.

Kurze Zeit später wurde ich als Letzter in den Krankenwagen geborgen.

In dem Wagen, der bei uns reingefahren ist, war eine ehemalige Schulfreundin meiner Frau aus Weener.

Es gab an der Unfallstelle hiermit 4 Tote.

Ich wurde dann zum Kreiskrankenhaus Leer gebracht, wo mir dann der frischgebackene Stationsarzt Dr. Dieter Müller über Weihnachten meine Beine wiederherstellte durch Verplatten und Drähte um die Sprunggelenke, indem Spongiose und Knochenteile aus dem Beckenknochen herausgenommen wurden.

Als ich aufgrund des hohen Blutverlustes nach einer Woche schemenhaft wieder wach wurde, sah ich, dass meine Füße noch am Körper waren. Ich konnte es im ersten Moment gar nicht glauben.

Danach habe ich 2-3 Wochen meine Frau vermisst, weil man mir gesagt hatte, sie liegt ein paar Stationen weiter. Aber irgendwann wurde dies Drama aufgelöst.

Und man glaubt es nicht, die Ärzte hatten mir prophezeit, dass ich nie wieder das Laufen lernen würde. Man muss bedenken, man schrieb das Jahr 1975/76! Allen zum Trotz bewegte ich mich durch Übungen körperlich immer besser und bekam die ersten Bewegungen in den Beinen, später in den Füßen und danach auch vom großen Zeh her an, an jedem Zeh wieder Bewegung. Danach dauerte es etwa 3 Monate, dass ich jedes Bein mit 5 kg, später mir 15 kg und danach mit 25 kg belasten konnte usw. Meine Fertigkeit ging dann soweit, dass ich nicht nur stehen konnte, sondern auch das Laufen wieder lernte.

In den letzten 6 Wochen im Kreiskrankenhaus Leer half ich dem Pflegepersonal durch Rasieren der alten Herrschaften, Abräumen etc. Dies sahen die Ärzte und wollten mich gerne zum Pfleger umschulen lassen. Aber ich hatte meine Energie hauptsächlich aufgewandt, um aus dem weißen Zimmermilieu endlich wieder Freiheit auf dem Schiff zu genießen.

Und irgendwann war es soweit, dass ich laufend mit Krücken das Krankenhaus verlassen konnte.

Tochter Helena in Detroit – 1988

Im Nachhinein vermisse ich meine Frau noch immer

außerdem ist es ein großer Schmerz, seine eigene Frau nicht selbst zu Grabe getragen zu haben. Es muss ein großer Zug hinter dem Sarg gewesen sein, man sprach von 1,5 km.

Es war ja auch ein Schicksalsschlag rund um die Umgebung um Weener herum sowie deren Verwandtschaft und ein Riesenverlust meiner Schwiegereltern. Die gaben daraufhin ihren Schiffahrtsberuf auf, um sich um die Pflege und das Großziehen meiner Tochter Helena nicht nur zu kümmern, sondern mit aller Liebe zu  versorgen.