Die Geschichte

von Werner Kohnen

14. Loslassen vom M/S „Hünenkönig“

Hünenkönig auf Talfahrt auf der Main-Schleife mit ordnungs­gemäßer Laderaum­belüftung

Oh Elend, oh Elend, oh Elend …

Was ist mir das schwer gefallen!!!

Ich habe ein Jahr gebraucht, da ich mein Schiff mehr oder weniger schuldenfrei hatte, zu überlegen, warum fährst du überhaupt auf dem Schiff?

Als Rückblende: Ich war groß geworden auf einem Bauernhof, hatte meine Lehre vollbracht und meine Patente erhalten und bin sehr schnell zu einem großen Schiff gekommen. Alles so, wie ich es wollte.

Und dann wurde mir meine Leni weggenommen. Und ich war allein. Keiner mehr da, der mir sagte, was ich alles so falsch mache.

Ich fuhr das M/S „Hünenkönig“ mit einem wahnsinnigen Erfolg zur Glorie und hatte meinen Lebenstraum monetär alles erreicht, was ich wollte. Aber ich war ein einsamer Wolf geworden.

Darum sinnierte ich ein Jahr lang über den Sinn des Lebens und kam zum Schluss, dass man alles gesellschaftlich Relevante und besonders auch das kirchlich Eingeprägte über Bord werfen kann.

Ich konnte plötzlich für Luther viel empfinden, weil er den Deutschen die Augen geöffnet hat, aber besonders auch für die Theorien von Darwin.

Für mich hieß das, du wirst geboren, wächst unter deinen Eltern auf und in der Schule (in Englisch grow up), wirst groß und ausgewachsen, gründest eine Familie durch Zeugung neuer Nachkommenschaft, siehst dann die Kinder groß werden durch die Glorie deiner eigenen Laufbahn. Und wenn die Kinder groß sind, schaust du dem Alter entgegen. So man kann und darf und genießt die letzten Zeiträume, um irgendwann Abschied zu nehmen.

Und alles andere kann man als völlig überflüssig abhaken.

Deshalb stand die Frage an, gehst du vom Schiff runter oder nicht?

Da ich mit 13 Jahren schon sehr weise geworden war durch die Schulung meiner Großeltern, war diese Entscheidung um das Loslassen vom Erfolg und vom großen Geldverdienen eine nicht leichte.

Denn das muss ein jeder für sich lernen, das Loslassen vom Erfolg, das Loslassen vom großen Geldverdienen, das Loslassen von Hab und Gut, wie schwer fällt das.

Was hab ich gebraucht, um von meiner persönlichen Glorie, ein King auf dem Wasser zu sein, loszulassen, heißt wenn man unterwegs sagt, ,,Leinen los!“, der Befehl heißt „Leggo!“ (kommt von lefs go) und das Schiff kommt langsam in Fahrt, was für eine Freiheit!

Das hieß natürlich vorher, Mannschaft wach machen durch Lautsprecher: ,,Raus, raus, ihr müden Leiber, die Kai steht voller … “

Auspuffklappe öffnen, Skylight-Oberlichter hoch, Seeventil öffnen, Kühlwasserzufuhr kontrollieren (Schlammtopf), Tagestankkontrolle, Ölpeilstabkontrolle, Hauptanlass­ventil der Luftflasche öffnen, Ladeventil der Luftflasche öffnen, Kompressorventil öffnen, Motor abschmieren, lndikatorhähnen auf, einmal den Motor durchzischen ohne Drehzahlbelastung. Nach Sichtkontrolle, dass kein Zylinderkopf Wasser­Feuchtigkeitsspuren hinterlässt, lndikatorhähne zu.

Dann an Deck: Alle Mann auf Position, Vorleine los, Hauptmaschine umsteuern auf rückwärts, Hauptmaschine auf Anfahren, durchsteuern auf Betrieb, Maschine etwas Drehzahl geben und wieder auf Stopp.

Dann Befehl durch Lautsprecher: Spring leggo sowie Achterleine einholen. Im gleichen Moment Hauptmaschine umsteuern auf „Voraus“, Maschine auf Anfahren und wieder auf Betrieb, Drehzahl etwas steigern und Fahrt aufnehmen.

Nach Kursnehmen Tea time in Sicht!!!
Ab jetzt beginnt die Freiheit!!!

Ziel war natürlich immer das Erreichen ohne Havarie.

Und dies sollte ich jetzt alles loslassen? Für kein Geld auf der Welt!

Und doch wollte ich mir selber und meiner Tochter damals und aller Welt zeigen, ich kann auch noch etwas anderes als nur ein Schiff fahren.

Also meldete ich mich bei der Volksschule in Leer, An der Blinke Abitur stand an durch die Z-Prüfung an der Uni in Oldenburg. Hiermit fing mein Elend an!

Die Frage war, warum gehst du vom Schiff? So blöd war nur einer, der auf rutschiges Eis geht.
Warum nur?