Die Geschichte

von Werner Kohnen

4. die Kindheit

Die Schulzeit in Börgermoor

Wie schon erwähnt spielte und tollte ich in Rühlertwist mit den Nachbarskindern und hatte vielerlei Freuden am kleinkindlichen Leben.

Inzwischen war meine Schwester Gisela dort geboren und danach im Alter von 4-5 Jahren zogen wir aus geldlichen Gründen in das Haus meiner Großeltern in Börgermoor. Hier gab es sehr viel zu entdecken. Das war nicht nur das riesengroße Haus, nachdem wir in Rühlertwist in einem Kunstdüngerschuppen wundersam gelebt haben. (Auch wenn es nicht so scheint, in diesem Kunstdüngerschuppen waren wir alle sehr glücklich.)

Nun gab es bei meinen Großeltern viel zu entdecken. Das war für uns im Wesentlichen der Heuboden, worin wir uns, wenn wir Heu aus der Luke herunterbefördern sollten, uns gleichzeitig Gänge im Heuschober bauten, so wie Maulwürfe in der Erde. In diesen für uns unterirdischen Gängen konnten uns niemand entdecken und wir haben nie besser verstecken gespielt als dort.

Nun gab es irgendwann zu Weihnachten vom Weihnachtsmann eine Schubkarre. Viele mögen einen auslachen, aber diese Holzschubkarre war zu vielem zu gebrauchen und als Spielzeug zu benutzen. Natürlich wussten die Großeltern auch ganz gut, dass wir damit Torf und Kleinholz sowie Fettkohle zu holen hatten. Von all dem hatten wir reichlich. Nebenbei hatten wir zu der Schubkarre auch noch einen Sportkinderwagen, der leider nur noch 3 Räder besaß, womit wir gespielt haben bis in die Puppen. Irgendwann wurde es meiner Mutter zu viel und sie entsorgte das Teil auf ihre Art und Weise, nämlich im Kanal. Und ich glaube, es gab zu der damaligen Zeit kein Kind, das so geweint hat wie ich um diesen ominösen Kinderwagen.

Danach gab es in meiner Jugendzeit etwas Besonderes: 1953 einen Lederball. Dieser Ball war mit Lederriemen in sich verknotet. Mein Vater hat ihn mir gekauft und ich glaube, ich war in sehr weitem Umkreis vom Emsland der Einzige, der als Kind einen Lederball Größe 4 besaß. Ich durfte ihn allerdings nicht mit zur Schule nehmen, damit alle damit spielen konnten. Da mein Opa mich dabei regelmäßig ertappte, gab es entsprechend Senge und nicht zu knapp.

Nach diesem Fußball fiel meinem Vater ein, für seinen ach so geliebten Sohn, der demnächst in die Dummheit eintauchen würde, da muss ein Märklin Metallbaukasten her. Zu Nikolaus hab es den Kasten 99 A, zu Weihnachten den Kasten 99. Nächstes Jahr das gleiche Prozedere: Zu Nikolaus 100 A, zu Weihnachten 100. Für alle, die es nicht wissen: 99 A ist ein Ergänzungskasten für den großen Kasten 99, den es zu Weihnachten gab. Und so ging es die Jahre weiter bis zum Endstadium Märklin Baukasten 105. Und heute glaube ich, es gibt nur wenige Menschen, die so schnell ohne Studium und ohne Wissenschaft im Handumdrehen blitzschnell konstruieren können. Anmerkung: Woher der das wohl hat!!

Meine Schulklasse 1953
Erstkommunion 1955

In den Jahren war es dann soweit, dass ich nicht versetzt werden sollte.

Meine Dummheit nahm ihren Lauf, bei Fräulein Czich, was für eine begnadete Lehrerin. Meine Mutter ging zu ihr und ich sollte nochmal befragt werden. Sie erbarmte mich mit einer sogenannten Sonderprüfung, die im Nachhinein sicher keine war und somit wurde ich versetzt.

Da meine Mutter auch nicht dümmer war als mein Vater, wahrscheinlich andersherum, entschied meine Mutter, dass ich ein Tierbuch bekomme und einen Westermann großen Atlas in grün. Und keiner wird’s glauben: Beide Bücher kannte ich geologisch, geographisch, kartographisch und mit einem enormen Wissen im Tierbereich einschließlich aller Vögel, erst recht die einheimischen Tiere. Da gab es mit der Dummheit kein Halten mehr. Da ich das alles auswendig konnte bis ins Detail, hatten die Lehrer, wie man heute sagt, Null Chance. (Schlimm, schlimm!!)

Als Kind ist man dann auch noch vorlaut.

Somit wurde ich in der 6. Schulklasse, da ich dort mittlerweile Schulstunden gab, damit die Lehrer sich für andere wichtige Arbeiten vorbereiten konnten, von meinen Großeltern und Eltern, die ja schon Jahre zusammen auf dem Schiff fuhren, über die westdeutschen Kanäle Weser-Ems und Rhein gefragt, an welche Oberschule ich denn gehen wollte. Leider waren meine Eltern da bei mir an der falschen Adresse. Mit Schule hatte ich es nicht, und schon gar nicht mit Oberschule. Ich wollte Binnenschiffer werden, und wenn möglich, bald das größte Schiff haben, das in Norddeutschland fährt, und das so bald wie möglich.

Ich hatte ja Kielwasser gerochen, weil ich in den Ferien von meinen Großeltern, die mich großgezogen hatten, zu meinen Eltern irgendwo in Deutschland fuhr, mit dem Zug. Zuerst mit einem weißen Schild vor der Brust: Klein Werner muss in Münster und Recklinghausen umsteigen, damit jeder Schaffner Bescheid wusste. Es dauerte nicht lange, da entledigte ich mich dieser Tafel, ich kannte schließlich alle Fahrpläne auswendig, nicht nur das, natürlich auch die Bahnsteige.

Noch heute habe ich im Ohr, wenn die Dampflok in Papenburg ankam, das Anfahren der Dampflokomotive, egal ob es ein Personen-, Eil- oder D-Zug war. Dieses Geräusch hat sich verinnerlicht und ist nie mehr aus dem Gehirn herauszubekommen, dabei möchte ich auch die besondere Geräuschkulisse der vielfältigen Zechen-Lokomotiven nicht vergessen, die Koksschüttgüter zu den Zechenhäfen verfuhren.

Für mich war das Einmaleins des Reisens ein Genuss.

Weil ich vom Bauernhof meiner Großeltern auf der Flucht zu meinen Eltern auf Schiff war. Endlich kein Holzholen, kein Torf reinholen, kein Heu vom Boden holen, keine Kuhrampe ausmisten, morgens keine 4 Kühe melken, im Vorbeigehen 33 Hühner füttern. Folglich konnte wegen mir die ganze Welt aufs Gymnasium gehen, nur ich wollte aufs Schiff. Das war Freiheit! Freiheit pur, Freiheit ohne Ende, bis die Ferien vorbei waren. Also Eisenbahngeschichte retour. Meistens kam ich abends spät bei meinen Großeltern an und ich wurde von vorne bis hinten ausgefragt, was auf dem Schiff los war. Somit dauerte es nicht lange, alle meine Schulfreunde, die etwas taugten, waren auf der Hochschule. Noch schlimmer, die schönen Mädchen waren weg. Und der Rest, den ich noch gern hatte, entfloh auch langsam.

Somit war das Schuljahr fast Geschichte, bis auf die Tatsache, dass sich die Niedersachsen gerade das 9. Schuljahr in meinem Endstadium einfallen ließen. Da ich aber ab 13 nicht mehr besonders konfirmierbar war, entledigte ich mich auch dieses Gesetzesfrustes, indem ich mich bei einer Binnenschiffer-Familie Thörner aus Bergeshöwede anmeldete und das war Nordrhein-Westfalen und da gab es keine 9. Schulklasse. Entsprechend verärgert war mein Schulleiter in Börgermoor, Herr Schulte im Walde. Er wusste genau, wie ich über ihn triumphierte. Er hatte mich lange genug gepiesackt. (Dieser Lehrer war zu seiner Zeit nicht so gut zu genießen. Auch deshalb, weil er jeden Mittag seinen Wacholderschnaps in der Gaststätte Behnen, die ihn herzlich begrüßten, zu sich nahm. In welchem Zustand er den Heimweg antrat, hat mit der heutigen Straßenverkehrsordnung wenig zu tun.)

Nebenbei möchte ich meine eigene Suchtaktivität nicht vergessen: Auf dem Nachhauseweg machte ich einen kleinen Umweg zu Bäckerei Walker, und der hatte nach dem Krieg selbstgemachtes Eis. Es kostete 5 Pfennig. Für meine Großeltern war das eine Millionenausgabe, aber ich war und bin immer noch süchtig nach Eis. Und da ich nie kleinlich war, gab ich natürlich einigen von meinen Schulkameraden auch ein Eis ab, so lange die Geldbörse das hergab. Aber da waren nachkriegsmäßig natürlich ständige undefinierbare Kraterlöcher. Das hieß, hatte ich kein Geld für Eis, ging ich nach der Schulzeit noch eben mit meinem besagten Fußball auf den Fußballplatz von RaspoBörgermoor. Absprachemäßig mit meinen Schulkollegen noch eine Stunde Fußball spielen, meistens ich gegen 3-7 andere Kinder. Ich verlor auch wohl mal, aber meistens dann doch nicht. Das ging so weit, dass ich als Schüler schon in der Jugendmannschaft spielen durfte. I

In meiner Freizeit, sofern es die gab, spielte ich so oft ich konnte.

Auch wenn ich nicht durfte, weil es auf der Landwirtschaft immer etwas zu arbeiten gibt, mit den Nachbarskindern Jansen, Meiners, Brinkmann usw..

Zudem darf man nie vergessen, auf einem Bauernhof, auch wenn er klein ist, gibt es eine Menge Spielmöglichkeiten. Zum Beispiel hatten wir eine Kartoffelmiete, d.h. im Spätherbst wurde ein Vierkantloch, 2 m lang, 1 m breit, ca. 70-80 cm tief ausgehoben von meinem Opa, darein kamen die frisch geernteten Kartoffeln, dann wurden über diese Erdfläche cm dicke Fichtenbretter darüber gelegt, 2,50 m lang, natürlich beide Seiten aufliegend, und dann 30-40 cm mit Stroh bedeckt. (Für mich heute noch unerklärlich, warum da nie Mäuse beigingen.)

Diese Miete war im Frühjahr leer. Wir legten frisches neues Stroh unten in das Erdloch, legten die Bretter darüber und ließen 2 Bretter frei für uns als Eingang. Diese Höhle wurde benutzt, um die frischen Augustäpfel und Kirschen heimlich zu genießen. Dieses Versteckspiel gegenüber den Großeltern war eine reinste Freude und wir hatten eine schöne Höhle. Es muss wohl dieses Gefühl der Höhlenmenschen auch in uns gewesen sein.

Somit hatten wir als Geschwister einen großen Spaß.

Ferienzeit in den Zechen

Zu meinen Kindheitserlebnissen während der Ferienzeit auf dem elterlichen Schiff müsste ich eigentlich damit anfangen, dass mein Vater mir auf dem endlos langen Ems-Vechte-Kanal das Steuer überließ, wo ich doch gerade erst 8 Jahre alt war.

Entsprechend waren meine Sonnenkönigsgedanken. Ich fühlte mich als Captain in spe. Bezeichnend war, dass meine Mutter mal ein Foto machte, auf dem meine Schwester und ich in einem Beiboot sitzen im sprichwörtlichen Schlepptau und ich so tue, als ob ich mit 6-7 Jahren schon die BILD-Zeitung lesen könnte. Und das in der Sogwirkung des Schraubenwassers, eine Meisterleistung.

Das war aber noch nicht alles: Da meine Mutter auf vieles Rat wusste, kamen wir entsprechend bei Fettkohle oder Nusskohle Sorte 1, 2, 3 und 4 als auch Eierkohle morgens in den Laderaum. Und sie hatte 2 glückliche Kinder, die abends aussahen, wie noch nie ein Neger ausgesehen hat, so schwarz. ( Der Schwarze Piet möge mir verzeihen und KuntaKinte schon lange!). Was für ein Leben!

Dass wir nebenbei natürlich sämtliche Zechen von „Fürst Harenberg“ über „König Ludwig“ bis „Fürst Bismarck“ alle auswendig kannten, versteht sich von selbst. Und welches Kind kannte damals schon die Zeche „Hibernia“?

Ich möchte noch betonen, wenn wir von Münster in den Dortmund-Ems-Kanal in Datteln hereinfuhren, hatten wir die Zeche „Emscher Lippe“ noch nicht erreicht, wir hatten irgendeinen Rußpartikel in den Augen und meine Mutter musste händeringend schnell die Wäsche von der Leine nehmen.

Wie viele Kinder, sogenannte Parteigenossen, wir kennengelernt haben von so vielen anderen Schiffen, ist hier kaum nacherzählbar. Von so vielen Menschen, die wir kennengelernt haben in den Häfen, besonders wenn in Hannover Brink und Fahrenwaldefremde Kinder, hauptsächlich Flüchtlingskinder, mit kleinen Säcken kamen und das Schüttgut, das aus den Greifern gefallen war, aufsammelten, um Feuer für ihre Öfen zu haben. Nebenbei, wenn wir in die Spargelheimat Hildesheim-Braunschweig kamen, hörten wir dort den ostdeutschen Sender Werbetrommel rührend: ,,Und schon wieder hatd as Kombinat Rote Rübe 7 Fuder Ackerrüben mehr eingefahren als im Jahre vorher.“ Und so ähnliche Propaganda, siehe, wer es noch weiß, Arthur Schnitzler.

Ich möchte es hiermit sein lassen, könnte aber elends weitererzählen, war für ein kindliches Leben. Und das sollte mir das Abitur ersetzten, niemals!!!

Wie Unrecht ich doch hatte. Zeitlebens habe ich dann mit selber Privatstunden verabreicht. Das fing damit an, ich bestellte mir 1961 beim Hamburger Fernlehr­institut HFL einen Satz Englischbücher Einführungskurs mit 6 Schallplatten. Der erste Satz hieß „what a mess“.

Hernach habe ich etwa mit 33 Jahren das Abitur nachgeholt und danach fing es erst richtig an: Schweißprüfungen, Staplerscheine, Kranscheine, LKW-Führerschein, EDV-Textverarbeitung, zig verschiedene Lehrgänge. Mit zig meine ich zig. Unter anderem auch in Abendkursen 12 Semester Englisch. Deutschland ist ja schließlich ein Land der zugestandenen Abschlüsse, mag der Teufel wissen, wofür es gut ist.

Ich konnte schon seit eh und je einen Stapler fahren, egal ob rechts oder links herum, und im Notfall konnte ich auch über Kopf meine Spielchen damit drehen, ich war ja schließlich vom Fach. Noch heute lerne ich im wievielten Semester Schwedisch, zu meiner vollsten innerlichen Befriedigung.

Möchte nur gesagt haben: Ohne Lernen geht es im Leben nicht, das war einer meiner größten Fehler aus Sicht anderer Personen, die mein Leben begleiteten.